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«Um das Kulturprogramm mache ich mir keine Sorgen»

Kathrin Halter
17. April 2018

Stefan Charles

Stefan Charles, Kulturchef von SRF, über Sparpläne und den Ausbau fiktionaler Eigenproduktionen, über die Stellung ­freier ­Dokumentarfilme beim Sender, veränderte Nutzergewohnheiten und das Online-Programm.

Was hat der Abstimmungskampf der vergangenen Monate bei Ihnen ausgelöst?
Wir haben eine grosse Unterstützung erfahren. Es entstand das Gefühl, wir kämpfen alle für dasselbe. Noch nie war die Auseinandersetzung mit der Raison d’être der SRG so intensiv. Darauf muss man Antworten finden, das ist wichtig, und sowohl Verbände wie Kulturschaffende haben da eindeutig Stellung bezogen.

Gab es denn auch kontrovers geführte, inhaltliche Diskussionen mit Kulturschaffenden?
Noch nicht. Aber wir sind uns einig, dass diese Diskussionen geführt werden müssen, dass es in der Zusammenarbeit auch Optimierungen braucht. Dass der Anteil an fiktionalen Fernsehformaten in den letzten vier Jahren mehr als verdoppelt worden ist, ist schon einmal ein Statement.

Am Abstimmungssonntag kündigte Gilles Marchand ein Sparpaket von 100 Millionen Franken an. Inwiefern wird das Sparen auch die Abteilung Kultur von SRF treffen?
Das ist eine Frage, die auch unsere Mitarbeiter stark beschäftigt. Die Massnahmen werden im Juni bekannt. Zunächst suchen wir nach Sparmöglichkeiten im Bereich der Infrastruktur. Mit dem Umzug der Kulturabteilung von Zürich nach Basel findet schon eine starke Verdichtung statt. In Basel beziehen wir in einem Jahr das Meret-Oppenheim-Hochhaus mit einer Mietfläche von 8’000 Quadratmetern – das sind zwei Drittel der jetzigen Fläche im Bruderholz für mehr als doppelt so viele Leute, nämlich für 330-350 Mitarbeitende. Da wird schon viel optimiert...

... also gespart...
Ja, wobei die Zusammenlegung nicht nur als Sparübung angelegt ist. Man will den Medienstandort Basel stärken. Wenn diese Massnahmen nicht reichen, muss über Programmbereiche diskutiert werden. Wir haben einen klaren Leistungsauftrag, ich habe während des Abstimmungskampfs auch niemanden gehört, der das Kulturangebot in seiner Breite in Frage gestellt hätte. Der Auftrag aus Politik und Bevölkerung ist klar, deshalb wäre es völlig falsch, genau im Kulturprogramm zu sparen. Auch Gilles Marchand hat betont, wie viel ihm die Kultur bedeutet. Diesbezüglich mache ich mir jedenfalls keine Sorgen.

Gilles Marchand verspricht einen Ausbau von Spielfilmen, Dokumentarfilmen und Serien; schon letztes Jahr hat SRF jährlich zwei neue Serien angekündigt. Welche Serien folgen 2019?
«Der Bestatter 7» sowie die zweite Staffel von «Wilder». Wenn «Seitentriebe» gut läuft, gibt es auch davon eine zweite Staffel; es ist auch kein Geheimnis, dass bereits daran gearbeitet wird. Da die Ausstrahlung aber noch läuft, ist es noch zu früh für eine Auswertung.

Also doch keine weitere Serie?
Doch, falls wir mit dem «Bestatter» oder mit einer der bestehenden Serien aufhören. Allenfalls könnte vor dem neuen finanziellen Hintergrund 2019 eine weitere Serie sowie ein weiterer Fernsehfilm produziert und 2020 ausgestrahlt werden. Entschieden wird in der zweiten Hälfte 2018.

Gibt es dann eine Ausschreibung?
Das ist noch nicht entschieden. Vielleicht werden auch schon bestehende Konzepte und Ideen weiterverfolgt. Wir sind mit verschiedenen Autoren und Produzenten im Gespräch.

Ein Projekt ist «Züri 1980» (Arbeitstitel) von Bettina Oberli und Thomas Ritter, den Autoren von «Private Banking». An welchen Stoffen arbeitet man sonst?
Das ist eine von mehreren Ideen, die wir zurzeit entwickeln. Es ist aber zu früh, um über die Inhalte zu sprechen. Es sind zum Teil sehr ambitionierte Projekte, die wir gerne auch in Kooperation mit dem Ausland realisieren wollen. Wir wollen in den kommenden Jahren die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarländern, wie wir das beim Zweiteiler «Gotthard» gemacht haben, noch ausbauen. Das erlaubt es uns, mit höheren Budgets zu produzieren und damit international konkurrenzfähig zu werden.

Weshalb werden Eigenproduktionen von RTS nicht immer auf SRF ausgestrahlt und umgekehrt? Und zwar gleichzeitig oder nur wenig später?
Im Februar wurde «Wilder» auf RTS ausgestrahlt. Und die RTS-Serie «Quartier des banques» wird in der zweiten Jahreshälfte deutsch synchronisiert verfügbar sein. Vorher ist es nicht möglich, da RTS eine Partnerschaft mit Teleclub eingegangen ist; die Serie ist dort derzeit On Demand erhältlich. Allerdings sind wir entschlossen, in Zukunft sowohl Fernsehserien wie Fernsehfilme konsequent in allen anderen Landessendern auszustrahlen, synchronisiert oder untertitelt. Bislang geschah dies nur fallweise.

Weshalb wird synchronisiert statt untertitelt? Das ist doch schade.
Bei SRF haben wir seit längerem begonnen, vermehrt Originalversionen mit Untertiteln zu zeigen. Filme in der Primetime wollen wir jedoch weiterhin synchronisieren, weil wir damit immer noch mehr Zuschauer erreichen. Wir haben auch schon online die Originalversion gezeigt und im TV die synchronisierte Fassung ausgestrahlt. Die neuen Distributions­kanäle eröffnen da neue Möglichkeiten.

Welchen Stellenwert geniesst der unabhängig produzierte Dokumentarfilm bei SRF? Es wird kritisiert, dass dieses Schaffen in der Romandie und im Tessin stärker vertreten ist als bei SRF.

Wir haben tatsächlich die Absicht, häufiger als bisher mit freien Dokumentarfilmern zusammenzuarbeiten – Gilles Marchand hat das unter dem Stichwort Outsourcing angesprochen. Wir hatten dazu kürzlich ein Gespräch mit dem ARF/FDS. Meine Bereitschaft dazu ist jedenfalls gross. In Locarno sollen dazu weitere Gespräche geführt werden.

Wird auch der dafür vorgesehene Sendeplatz verbessert? Unabhängig produzierte Dokumentarfilme werden jeweils um Mitternacht ausgestrahlt.
Ja, das wäre sinnvoll. Wobei man differenzieren muss: Primetime bedeutet nicht zwangsläufig mehr Zuschauer, auch bei Schweizer Filmen. Man muss so programmieren, dass das Zielpublikum am besten erreicht wird. Zum Beispiel haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder unabhängig produzierte Dokumentarfilme am Donnerstag um 20 Uhr gezeigt. Und seit ein paar Jahren gibt es einen attraktiven Sendeplatz für lange Dokumentarfilme im Sommerprogramm auf SRF 1, am Freitag nach «10vor10». Auch an den Feiertagen nutzen wir die Möglichkeit, lange Dokumentarfilme vor Mitternacht zu programmieren.

Die Nutzergewohnheiten haben sich stark gewandelt. Gibt es sie denn überhaupt noch, die – zumal jüngeren – Zuschauer, die sich zu vorgegebener Stunde vor den Fernseher setzen?
Man muss das differenziert sehen – im Sport gilt das bestimmt noch, bei der Unterhaltung am Samstagabend ebenfalls. Etwas anders sieht es beim Spielfilm oder den Serien aus: Bei «Seitentriebe» hatten wir nonlinear sehr gute Werte, nämlich über 80’000 Zuschauer der ersten Folge auf Play SRF, bei 360ʼ000 Zuschauern am Fernsehen.

Es ist sicher eine Altersfrage; Junge schau­en weniger häufig linear Fersehen.
Auch das kann man nicht pauschalisieren, der «Tatort» oder «Der Bestatter» haben beide ein junges Publikum. Für Serien wiederum gibt es angestammte Sendeplätze, es gibt auch jüngere Leute, die genau das mögen und ihren Spass daran haben, eine Serie über mehrere Wochen hinweg zu verfolgen. Bei «Wilder» hatten wir im Schnitt 620ʼ000 Zuschauer, das ist ein Marktanteil von 38 Prozent; online waren es im Schnitt zusätzlich 48ʼ000 Zuschauer.

Jetzt werden Serien teils sieben Tage, maximal einen Monat lang im Web aufgeschaltet. Wird man hier noch weiter gehen?
Das liegt mir sehr am Herzen; ich finde es toll, wenn Filme online noch lange abrufbar sind, wie das bei «Private Banking» oder «Wilder» der Fall war. Man muss aber sehen, dass sieben Tage nach der Erstausstrahlung die Zuschauerzahlen einbrechen. In der Regel bieten wir unsere fiktionalen Fernsehproduktionen 30 Tage online an. Bei Kinofilmen haben wir die Rechte nur für 7 Tage nach der Ausstrahlung.

Die Grenzen zwischen Web und TV lösen sich auf, wie will man dem Rechnung tragen? Wie wird der Online-Bereich ausgebaut?
Wir stellen uns dazu natürlich Fragen. Zum Beispiel, ob Serien nicht vom ersten Tag an – sogar vollständig – online verfügbar sein sollten. Vorläufig gilt immer noch «broadcast first» – man könnte sich fragen, ob das Prinzip nicht «online first» heissen sollte. Es gibt jedoch Befürchtungen, dass damit die linearen Nutzer wegbrechen – und dass wir dadurch an Werbung verlieren.

Grosse Beschleuniger dieser Entwicklung sind Streamingdienste wie Netflix, wo alle Filme rund um die Uhr verfügbar sind.
Ja, Netflix hat jedoch ein anderes Finanzierungsmodell. Ein Viertel unseres Budgets machen wir über Werbeeinnahmen, und online ist uns Werbung nicht erlaubt. Doch nochmals: Über kurz oder lang werden wir uns auch da noch mehr nach den Bedürfnissen unserer Zuschauer richten müssen, das gehört zu unserem Auftrag.


Wie steht es um Web-Only-Formate?
Da wollen wir uns stark weiterentwickeln. Mitte Mai startet «Nr. 47», die erste eigenproduzierte fiktionale Webserie, die von lauter Nachwuchstalenten geschrieben, inszeniert, gefilmt und gespielt worden ist. Die 20 Folgen von zirka 4 Minuten Länge werden später auf SRF zwei ausgestrahlt.

Als Kulturchef müssen Sie das Ganze im Auge behalten. Gibt es trotzdem eine Sparte, die ihnen näher liegt als andere?
Meine erste Liebe war die Musik, aber sie ist nicht die letzte. Ich habe an der ZHdK in der Theaterausbildung gearbeitet und dann in einem Kunstmuseum. Ich schaue mir sehr vieles an, mag auch den zeitgenössischen Tanz sehr, bin oft im Kino – meine Interessen sind also tatsächlich sehr breit.

Drei ausländische Serien, die sie mögen?
«Babylon Berlin». «Halt and catch fire». «The crown».

Drei Schweizer Filme, die Ihnen gefallen haben?
Ich bin ein Fan vom Nachwuchs. Also: «Blue My Mind». «Goliath». Und «Zwiespalt», das SRF-Drama von Barbara Kulcsar und Natascha Beller, das letztes Jahr den Fernsehfilmpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste gewonnen hat. Soviel Eigenwerbung muss sein.

▶ Originaltext: Deutsch

Biographie

Stefan Charlesleitet seit Januar 2017, als Nachfolger von Nathalie Wappler, die Abteilung Kultur bei SRF. Damit verantwortet der 50-Jährige unter anderem Radio SRF 2 Kultur, die fiktionalen Produktionen, das Dokumentarfilm-Angebot und die Kulturplattform im Internet. Stefan Charles wurde 1967 geboren. Seine Laufbahn begann der gebürtige Freiburger in der Musik­produk­tion und im Musikverlag der EMI ­Music in Berlin. Danach war er Geschäftsführer des Zürcher Clubs Rohstofflager, Abteilungs­leiter Produktion und Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste und zuletzt kauf­männischer Direktor am Kunstmuseum Basel. An der Hochschule Luzern hat Stefan Charles ein MAS in Kulturmanagement und an der Universität Zürich ein CAS in Unternehmensführung erlangt.

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