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«Netzwerken ist wie Flippern. Man wirft eine Kugel und schaut, was passiert»

Kathrin Halter
20. Mai 2018

Christine Loriol

Christine Loriol bietet Workshops für Filmschaffende an, die sich besser vernetzen, den Umgang mit Medien und Auftritte in der Öffentlichkeit trainieren wollen. Vor allem will sie Mut machen.

Einer ihrer Workshops richtet sich an «Frauen, die an Veranstaltungen zu schüchtern sind, um mit Unbekannten ins Gespräch zu kommen.» Jetzt mal unabhängig vom Geschlecht: Kann man sich Schüchternheit abgewöhnen?

Schüchternheit als Wesensmerkmal natürlich nicht. Und dennoch kann man vieles spielerisch trainieren. Die meisten sind ja nicht von sich aus schüchtern, sondern werden es erst in bestimmten Situationen, am Schweizer Filmpreis zum Beispiel oder an anderen öffentlichen Anlässen, die hemmen, einschüchtern oder nervös machen. Gleichzeitig ist es eine Frage der Kultur. Wir pflegen in der Schweiz dieses Bescheidenheits-Ethos, niemand will sich vordrängen, auffallen oder aus der Reihe tanzen. Das macht es nicht gerade leichter.

Wie kann man sich denn vorbereiten? Reden wir vom Schweizer Filmpreis.

Man sollte zuerst über den Anlass nachdenken. Worum geht es da eigentlich? Dann hilft es sehr, eine optimistische Haltung ein­zunehmen: Jetzt gehe ich da mal hin, vielleicht wird es ja ein schöner Abend! Man kann sich vornehmen, mit mindestens einer Person zu reden, die man noch nicht kennt, statt sich an die wenigen Bekannten zu halten. Zudem ist es nicht nur angenehm, wenn einen jemand vorstellt und nicht einfach so neben sich stehen lässt. Das sollte man auch für andere tun!

Wie geht man auf jemanden zu, den man berufshalber kennenlernen möchte?

Wenn Sie zum Beispiel eine Produzentin kennenlernen möchten, würde ich in meinem Umfeld jemanden suchen, der sie kennt und der mich vorstellen könnte. Auf keinen Fall würde ich stören, mich vordrängen. Der Filmpreis ist eine Feier und ein «Get-Together», kein Marktplatz wie ein Festival, wo man Drehbücher oder Projekte verkauft.

Und doch wollen alle netzwerken, was ja irgendwie schon anstrengend klingt...

Da verwischt sich eben die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit, das macht es kompliziert. Man sollte es dennoch spielerisch und lustvoll angehen. Das Kennenlernen von Leuten ist doch eigentlich etwas Schönes, sich zu begegnen, auszutauschen, Beziehungen zu knüpfen. Es ist interessant, Fragen zu stellen!

Ein Training in Leichtigkeit...

Ja. Nur wenn man das Netzwerken als unangenehme Pflicht ansieht, sie mit einem «Verkauf seiner selbst» konnotiert, wird es schwierig. Zudem geht es dabei ja auch darum, zu geben, nicht nur etwas zu bekommen. Und wer weiss, wohin der Ball einmal rollt! Als Input-Output funktioniert es jedenfalls nicht. Netzwerken ist eher wie Flippern: Man wirft eine Kugel hinein und schaut, was passiert.

Schweizer könnten viel von der Begegnungskultur der Amerikaner lernen.

Genau, Amerikaner sagen ja einfach mal «Hello! How are you?» Daraus entspinnt sich dann meist ein Dialog, leicht und selbstverständlich. Wenn wir alleine unterwegs sind, schauen wir oft weder links noch rechts und lernen so auch niemanden kennen. Dabei ist es übrigens nirgendwo einfacher als an Festivals.

Sie haben auch schon den Begriff «Selbstmarketing» verwendet. Das klingt eher abschreckend... Erklären Sie!

Viele denken, sein Wissen und Können zu benennen und somit zu «verkaufen» sei irgendwie fragwürdig. Die meisten tun es auch nicht gerne. Die Bewertung der Selbstdarstellung ist oft negativ – eigentlich will man es gar nicht und fühlt sich doch dazu gezwungen. Das kostet sehr viel Energie. Dabei geht es gar nicht darum, seine Seele zu verkaufen; niemand prostituiert sich, wer – ohne zu lügen – sagt, was er oder sie gut kann und will.

Welche Unterschiede beobachten Sie an öffentlichen Anlässen zwischen Frauen und Männern in ihrem sozialen Verhalten?

Es gibt tendenziell eine andere Bewertung des Verhaltens, der Ausstrahlung, von Selbstsicherheit etwa. Frauen kritisiert man schneller als «pushy». Sagen wir es so: Frauen haben eher Zurückhaltung verinnerlicht als offen­sives Vorgehen. Auch wenn dies subtil abläuft. Ich zum Beispiel rede gern und bin eine temperamentvolle Person; deshalb werde ich oft als dominant erlebt. Ich habe gelernt, damit zu leben.

Hat die MeToo-Debatte diese Wahrnehmung nicht verändert?

Da könnte ich jetzt weit ausholen. Es gab einen ordentlichen Backlash, der viele Stimmen wieder zum Schweigen bringen wollte. Grundsätzlich mochte und mag ich vor allem: Wenn Frauen andere Frauen ermutigen, zum Beispiel sich zu äussern. Und ganz allgemein, wenn Menschen einander stärken.

Es gibt auch Sprachbarrieren, gerade an Schweizer Festivals. Soll man Englisch reden, wenn man in Deutsch respektive Französisch unsicher ist?

Mir tut es weh, wenn junge Romandes und Deutschschweizer Englisch reden, um sich nicht auf Deutsch oder Französisch zu blamieren. Die sympathischere Lösung scheint mir, aus Höflichkeit erst einmal zu versuchen, in der Sprache des anderen zu sprechen. Oder man hält es wie die Bundesverwaltung, wo jeder seine Sprache spricht. Auch hier gilt: lieber herzlich und spielerisch als verkrampft; nicht so streng mit sich selbst und den anderen sein. Hauptsache, man kommt miteinander in Kontakt. Ich habe mal mit einem Fehlerforscher gesprochen, Theo Wehner. Er sagte, das Hirn ist ein fehlerfreundliches System, das Sprachfehler des Gegenübers kompensiert, wenn wir miteinander radebrechen. Wer in der Muttersprache kommuniziert, hat deshalb selten ein Problem, Fremdsprachige zu verstehen. Erst wenn es um Status geht, wird sanktioniert, wer unperfekt spricht.

Reden wir von den Medien. Zur Arbeit gehört auch das «entspannte Spiel» damit, wie Sie es einmal getauft haben. Was empfehlen Sie?

Sich vor einem Interview unbedingt vorzubereiten. Sich über das Medium vorher ins Bild zu setzen, selber Fragen zu stellen, zur vorgesehenen Textsorte etwa oder zum Publi­kationstermin. Wissen entspannt! Vielen ist der Umgang mit Medien nicht so geheuer, sie fürchten sich davor, das Ergebnis nicht kon­trollieren zu können. Im allgemeinen versuche ich, den Leuten Angst zu nehmen. Man sollte Journalisten als Menschen mit Berufsstolz ansehen; bei ihnen liegt die Verantwortung für die Qualität der Texte. Es ist auch völlig okay, sich mal zu wiederholen, man muss nicht jedesmal eine neue Geschichte erzählen, wenn man verschiedene Interviews gibt.

Zur Vorbereitung gehört wohl, sich vorher zu überlegen, was man zu sagen hat.

Es geht eher darum, sich klar zu werden, was man nicht sagen will. Sich über Grenzen Gedanken zu machen. Sich nicht zum Plaudern verführen zu lassen, wenn das Gespräch gerade nett ist. Ich sage jeweils: Persönlich darf es immer, intim sollte es nie werden. Umgekehrt empfehle ich, sich vorher zu überlegen, worüber man gerne spricht. Filmschaffende sind oft so nahe an ihren ­Filmen dran, dass sie gar nicht mehr wissen, was für Aussenstehende interessant ist. Es gibt immer mehr Frauen und Männer aus der Filmbranche, die ein Seminar besuchen oder ein Coaching nehmen, um sich professionell vorzubereiten.

Selbstzweifel eingestehen, auch Nachdenklichkeit zeigen, wirkt glaubwürdig und kann Gespräche bereichern.

Das hängt von der Publikation ab und vom Setting des Gesprächs. Unsicherheiten im Arbeitsprozess gehen die Öffentlichkeit an sich nichts an. Aber rückblickend über das zu reden, was schwierig und herausfordernd war, geht gut. Immer interessant ist es, wie Schwierigkeiten gelöst wurden, das gibt gute Geschichten. Mit Zweifeln an der eigenen Arbeit wäre ich zurückhaltend; das kann auch kokettierend wirken.

Als Journalistin merkt man relativ schnell, ob Zweifel echt sind oder ob kokettiert wird.

Ja, aber ob es die Leserinnen und Leser auch so verstehen, ist weniger sicher. Aber eben, es hängt auch von der Publikation und vom Setting ab. Jeder von uns hat einen inneren Kritiker. Diese Instanz solle man nicht schwatzen lassen, glaube ich.

Wichtig ist das Gegenlesen von Zitaten, um Fehler zu vermeiden. Schwierig sind Interviewte, die aus Unsicherheit nachträglich vieles umformulieren wollen. Das geht eigentlich nicht.

Ich sage jeweils: In Dialekt geführte Interviews sind immer eine Übersetzung. Bei Sätzen, die falsch klingen, kann man sagen: Da gab es ein Missverständnis, da habe ich mich falsch oder unklar ausgedrückt. Das kommt ja vor. Ich empfehle aber, nicht selber umzuschreiben, weil das – jedenfalls bei Texten – oft als Übergriff empfunden wird. Sondern man erklärt, macht allenfalls Vorschläge und lässt die Journalisten selber umformulieren. Streitet nicht um einzelne Wörter, das lohnt sich nicht.

Was ist sonst noch wichtig?

Die Bilder! Viele Leute werden nicht gerne fotografiert, bringen es schnell hinter sich und vergessen die Spuren, die damit im Internet gelegt werden. Man sollte sich auch überlegen, was man anzieht, wenn man fotografiert wird, allenfalls einen Vorschlag machen, wo man platziert werden könnte etc.

Ein letzter Tipp noch?

Nie schlecht über andere reden! Allenfalls von einem Beispiel erzählen, wo man sich mit Mitarbeitern oder Schauspielern gerieben oder um etwas gerungen hat, das kann interessant sein. Aber niemals dreckige Wäsche waschen. Das ist fast so, wie wenn man über seinen Ex-Freund oder seine Ex-Freundin schlecht spricht. Es fällt auf einen selbst zurück.


▶ Originaltext: Deutsch

Der Unbeugsame

Kathrin Halter
20 Mai 2018

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Françoise Mayor,
Leiterin der Abteilung Fiktion, Dokumentarfilm und Originalserien bei RTS

20 Mai 2018

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