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Der Standpunkt von Pierre-Alexandre Labelle

Adrien Kuenzy
20. Mai 2018

Pierre-Alexandre Labelle

Sie sind sowohl Aggregator für diverse VoD-Plattformen als auch Filmverleiher in den USA. Wie gehen Sie mit dieser Doppelrolle um?

Meine Haupttätigkeit ist die eines digitalen Vermittlers oder Aggregators. Wir kümmern uns um die Beziehung zwischen den Rechteinhabern und den VoD-Plattformen. Die Tätigkeit als Filmverleiher in den USA, die Sie angesprochen haben, findet in einem grösseren Rahmen statt; wir würden uns eher als digitalen Herausgeber bezeichnen. Als Aggregator haben wir hier verschiedene Vorteile: Durch unseren Katalog mit fünftausend Filmen kennen wir die Marktverhältnisse sehr gut, und wir arbeiten regelmässig mit den wichtigsten VoD-Plattformen der ganzen Welt zusammen.


Weshalb diese Diversifizierung Ihrer Tätigkeiten?

Die Kehrseite der Medaille und der Grund, weshalb wir nicht einfach Aggregator geblieben sind, sind die relativ kleinen Margen. Da wir den Rechteinhabern keinen im Voraus garantierten Mindestbetrag bezahlen, erhalten wir nur eine sehr geringe Kommission. Zudem müssen wir grosse Investitionen in unsere IT-Infrastruktur tätigen und hohe Personalkosten tragen. Nimmt man diese zwei Faktoren zusammen, so kann das Unternehmen vielleicht überleben, für ein Wachstum reicht es jedoch nicht aus. Dies ist der Grund, weshalb wir uns auch als Herausgeber weiterentwickeln möchten.


Wer sind Ihre wichtigsten Kunden, und wie wählen Sie Ihre Geschäftspartner aus?

Unsere Kunden sind Rechteinhaber oder Vertreiber, internationale Verkäufer oder Filmproduzenten, die ihre Filme auf VoD-Plattformen vermarkten möchten. Wir betrachten aber auch diese Plattformen als unsere Kunden, denn wir bieten ihnen nicht nur Filme an, sondern passen unser Angebot auch an ihre thematische Ausrichtung an. Wir bevorzugen Plattformen mit grossen Marktanteilen, um möglichst eine weltweite Präsenz zu erreichen. Für jede Region gibt es ungefähr vier oder fünf Plattformen, die 80 bis 90 Prozent des Marktes abdecken. Zu Beginn unserer Tätigkeit mussten wir uns auf die globalen Plattformen wie iTunes oder Google konzentrieren, denn sie waren gut etabliert und boten uns Grössenvorteile. Heute wenden wir uns mehr und mehr auch lokalen Plattformen zu, wie zum Beispiel TF1 in Frankreich oder Teleclub in der Schweiz.


Ihr Unternehmen ist in der Schweiz vertreten. Wie sieht Ihre Arbeit als Aggregator in der Schweiz aus?

Wir arbeiten in der Schweiz genauso wie anderswo. Ich würde sagen, dass wir auf lokaler Ebene drei Tätigkeitsbereiche verfolgen. Erstens agieren wir als digitaler Vertreiber im Auftrag der lokalen Vertreiber. Wenn ein Schweizer Vertreiber Rechte für einen Film in seinem Gebiet kauft, kann er sich an uns wenden, um die VoD-Plattformen zu erreichen. Zweitens unterstützen wir die Vertreiber dabei, dank VoD auf dem internationalen Markt Fuss zu fassen. Wir hatten in der Vergangen­heit ein Programm mit Swiss Films, das die Digitalisierung, die Codierung und teilweise sogar die Untertitelung der Filme – in erster Linie Dokumentarfilme – unterstützte, um eine möglichst breite Auswertung auf internationaler Ebene zu ermöglichen. Drittens stellen wir die Verbindung vom internationalen zum lokalen Markt her, indem wir Inhalte anbieten, die in der Schweiz bisher noch nicht gezeigt wurden.


Was können Sie Schweizer Rechteinhabern, die bereits Beziehungen zu VoD-Plattformen aufgebaut haben, als Aggregator noch bieten?

Rechteinhaber, die direkte Beziehungen mit den Plattformen unterhalten, stellen oft fest, dass dies aufwändiger ist, als es zunächst erscheint. Andere benötigen unsere Dienste, um die neuen technischen Standards zu erfüllen, die von den globalen Plattformen verlangt werden. Im Allgemeinen arbeiten die Rechteinhaber oft mit uns, um unsere Analysetools zu nutzen, denn sie selbst könnten solche Tools nicht entwickeln. Dank unseren guten Beziehungen zu Plattformen wie iTunes können wir die Filme unserer Kunden optimal platz­ieren.


Wie entwickeln Sie eine Marketingstrategie?

Im Zentrum steht das Trade Marketing, dadurch können wir einen Film seiner Typologie und dem Markt entsprechend platzieren. Zu diesem Zweck liefern wir den Plattformen umfassende Informationen über unser Angebot, damit die Identität des Films auf prägnante Weise präsentiert wird, wenn er online geht. Unser oberstes Ziel dabei ist, ihn aus der Masse hervorzuheben. Danach betreiben wir unabhängig von der Plattform B2C-Marketing, um den Endkunden direkt zu erreichen. Diese Art von Marketing, die in erster Linie auf den sozialen Netzwerken stattfindet, ist sehr kostenintensiv und stellt eine grosse Herausforderung dar, da die Erträge pro Film noch relativ gering sind und folglich auch das Marketingbudget meist sehr niedrig ist. Insbesondere dank der Unterstützung des Programms MEDIA von Creative Europe können wir dennoch einiges investieren, um die Instrumente herauszuarbeiten, die für den VoD-Vertrieb am geeignetsten sind. Die sozialen Netzwerke ermöglichen es uns, ein grosses internationales Publikum zu erreichen und zugleich ein spezifisches, genau definiertes Zielpublikum anzusprechen. Für die europäische Produktion ist es wichtig, sich in diesem Bereich das erforderliche Fachwissen anzueignen.


Das Ziel Ihres Berufes ist, all die Filme, die kaum jemand sieht, ins Rampenlicht zu rücken.

Ja, das ist ein echtes Problem! In Europa wurden letztes Jahr über zweitausend Filme produziert. Wo sind all diese Filme? In ihren Produktionsländern sind sie präsent, jedoch nicht auf sehr effiziente Weise, und auf internationaler Ebene existieren sie so gut wie gar nicht. Der digitale Vertrieb ist in diesem Zusammenhang nicht die ultimative Lösung, aber er stellt sicherlich einen Teil der Gleichung dar. Verglichen mit dem Produktionsbudget eines Films ist das Budget, das für seinen internationalen Vertrieb aufgewendet werden muss, ziemlich gering.


Wie können Sie abschätzen, ob ein Film, der im Kino erfolgreich war, auch auf einer VoD-Plattform Anklang findet?

Unsere Arbeit besteht darin, Überraschungen möglichst zu vermeiden. Dank unserer Erfahrung konnten wir Vergleichsstudien zwischen unseren verschiedenen Filmen anstellen und so gewisse Trends erkennen. Diese Analysearbeit ist sehr wichtig für uns, und mit unseren fünftausend Filmen verfügen wir über umfangreiche Daten der verschiedenen Plattformen. Die Filme, die auf VoD am meisten Erfolg haben, sind natürlich diejenigen, die im Kino erfolgreich waren, wie zum Beispiel «Intouchables» in Spanien. Dennoch dürfen wir die anderen Filme nicht vergessen, die nie im Kino liefen und bei denen wir den Erfolg auf den VoD-Plattformen nicht von der Anzahl Kinoeintritte ableiten können...


Was für Filme vertreiben Sie im Rahmen Ihrer zweiten Tätigkeit als VoD-Herausgeber?

Die Filmauswahl ist gezielter und basiert auf drei Typologien. Die erste umfasst amerikanische Filme für den europäischen Markt. In der zweiten, auf die USA ausgerichteten Kategorie finden sich internatio­nale Filme mit starker Festivalpräsenz. Die dritte beinhaltet Filme, die in den klassischen Netzwerken keinen Platz gefunden haben und für den digitalen Vertrieb geeignet erscheinen. Diese dritte Kategorie ist komplex, obwohl der Markt sich klar in diese Richtung entwickelt. Durch diese Tätigkeit versuchen wir auch, die weltweiten Rechte an Filmen zu erwerben, die direkt auf den digitalen Plattformen herauskommen. Da wir in diesem Bereich einen im Voraus garantierten Mindestbetrag bezahlen, ist auch die Kommission höher.


Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung Ihrer Tätigkeit?

In erster Linie müssen wir ein Vertriebsnetz aufbauen, das uns erlaubt, unsere Tätigkeit als Herausgeber zu erweitern und unsere Marketingkompetenz auszubauen. Zudem möchten wir uns in Zukunft auch als mehrheitlicher Koproduzent an verschiedenen Projekten beteiligen. So würden alle Vertriebsrechte uns zufallen, und wir könnten direkt für die digitalen Plattformen produzieren. Wir möchten Raum schaffen für Projekte mit starken kulturellen Komponenten, für Nischenfilme, die dennoch weltweit ihr Publikum finden können. Das Ziel dabei ist, den Filmemachern freie Hand zu lassen, damit sie die Geschichten von morgen für digitale Plattformen erzählen können. Ich bin sehr zuversichtlich in Bezug auf die Qualität der Inhalte in den kommenden Jahren.


Welchen Rat geben Sie Schweizer VoD-Plattformen, um mit internationalen Gross­unternehmen konkurrieren zu können?

Wenn Sie meine ehrliche Meinung hören wollen, würde ich sagen, eine VoD-Plattform zu betreiben ist eine sehr schwierige Aufgabe ...


▶ Originaltext: Französisch

Pierre-Alexandre Labelle

stammt aus Québec. Im Jahr 2000 schliesst er sein Studium der Kommuni­kationswissenschaften an der McGill University in Montreal ab. Von 2001 bis 2004 arbeitet er als Trader für Rohstoffe und Rohstoffderivate beim Weltkonzern Cargill in Paris. Dort entdeckt er die Filmwelt und beginnt rasch, sich für die Distribution zu interessieren, insbesondere für die Auswirkungen der digitalen Technologien auf den Vertrieb kultureller Inhalte. Von 2005 bis 2008 lanciert und betreibt er die Plattform Universciné, eine der ersten VoD-Plattformen Frankreichs. 2010 gründet er gemeinsam mit zwei Partnern die digitale Vertriebsgesellschaft Under The Milky Way.

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